Nach Putre hatte unsere Gruppe die Einladung an den Autor gelockt, an dem großen Profi-Camp der Internationalen Astronomischen Union teilzunehmen - Jay Pasachoff sei an dieser Stelle noch einmal für diese seltene Möglichkeit gedankt, die nur besonders engagierten Amateurastronomen eröffnet wird. Das 1500-Seelen-Dorf Putre einer großen Garnison eingenommen, und mit den "Berittenen" (nicht auf Llamas, wie der geneigte Leser meinen könnte, sondern auf Motorrädern - das würde uns noch zupasse kommen) hatte Pasachoff ein Abkommen getroffen. Mannschaften und Offiziere räumten für mehrere Wochen ihre Quartiere und machten über 100 Astronomen und einer Riesenreisegruppe von Sky & Telescope Platz. Während die ersteren (darunter auch wir) in Räumlichkeiten unterkamen, die an die bekannte deutsche Astronomenherberge Bruder-Klaus-Heim in Violau erinnerten (Astro-WG im 6-er Zimmer), wurden die Sky&Telescop'ler in einen riesigen Schlafsaal gepfercht.
Das astronomische Inventar war teilweise schon vor Wochen auf einem großen aber staubigen Platz auf dem Gelände aufgebaut worden, und was hatten sich die Astronomen aus Amerika, Japan und etlichen weiteren Ländern nicht alles ausgedacht. Kein Teleskop sah hier aus wie ein anderes und viele nicht einmal wie überhaupt ein Fernrohr. Populär bei Sonnenfinsternisprofis sind waagerechte Aufbauten nach Art einer Optischen Bank, in die ein Heliostatenspiegel das Licht einspeist. Andere wiederum versuchen, den gesamten Aufbau mit allen Spiegeln, Linsen und Filtern auf eine Montierung zu setzen, was dann nicht mehr besonders vertrauenswürdig aussieht - besonders wenn plötzlich Teile aus dem Tubus kullern, so gesehen gestern bei der Generalprobe der Finsternis. Ansonsten galten die Sorgen eher dem Staub, der hier alle freien Flächen bedeckte und normalerweise niemand gestört hätte. Aber die Lage war nicht normal. Für gewöhnlich wohnen nur etwa 1500 Menschen im Raum Putre, und die ganze bergige Region östlich der Küstenstadt Arica wird von gerade einmal 3000 bevölkert. Nur wenige Dutzend Besucher am Tag begeben sich für gewöhnlich hier hinauf, um Chiles nördlichste Nationalsparks zu besichtigen, und noch vor 1/4 Jahr war Putre - die einzige größere Ansiedlung - fast ausgestorben.
Aber jetzt war das Dorf kaum wiederzuerkennen, das ganze Zentrum war in eine Mischung aus Messe ("Feriandina '94") und Volksfest verwandelt worden, eine Konzertveranstaltung jagte die nächste ("Putre Rave"...), und tausende von Finsternisfans waren hierhergepilgert. Schon am 1.November, als wir angereist waren, säumten die sonst einsame Ruta 11 Anhalter ohne Ende, und heute war der Strom von Autos, LKWs und Bussen so stark angeschwollen, daß die chilenischen Behörden kurzerhand aus der Straße eine Einbahnstraße machten: Bis zur Finsternis durfte man nur rauf-, danach nur runterfahren. Rund um Putre waren auf dem kargen Wüstenboden große Zeltlager eingerichtet worden, insgesamt mußten geschätzte 15 000 Gäste versorgt werden. Daß die zuviel Staub aufwirbeln und den Blick der Astronomen trüben würden, war eine berechtigte Sorge gewesen, doch der Effekt war schließlich kaum zu bemerken - die Wolkenstreifen heute morgen hatten dem Himmel bereits die in den Tagen davor (und danach) ungestörte Bläue geraubt. Jetzt hieß es hoffen, daß in den entscheidenden drei Minuten eine dünnere Stelle vor der Sonne stehen würde. Sonnenfinsterniesse sind da tolerant: Sie bieten Phänomene in so vielen verschiedenen Helligkeiten gleichzeitig an, daß zumindest irgendetwas immer zu sehen ist - solange von der Sonne selbst etwas zu erahnen ist. Kurz nach dem Aufgang war sie doch tatsächlich einmal komplett verdeckt gewesen, aber jetzt hieß die Frage nur noch: Wieviel der äußeren Korona würde der Bewölkung zum Opfer fallen? Daß die innere Korona, die Chromosphäre und eventuelle Prozuberanzen erkennbar werden würden, stand außer Frage.
Die Fahrt von der chilenischen Küste hinauf nach Putre war eine Herausforderung für den Pickup Truck gewesen, den uns eine Reiseagentur in Arica besorgt hatte - weil in der Gegend keine mehr verfügbar gewesen waren, hatte er aus dem fernen Antofagasta, gelegen in ausnehmend flacher Wüste, herbeigebracht werden müssen. Jetzt mußte er mit 6 Passagieren und jeder Menge Gepäck 3 1/2 Höhenkilometer überwinden, was nur im Schleichgang und unter Einsatz von 25 Litern Sprit auf 100 km gelang. Die Landschaft verdiente es aber auch, in Ruhe genossen zu werden: Die Reise beginnt in der Küstenwüste, die sich tausende von Kilometern am Westrand Südamerikas entlangzieht, zwischen Arica und dem Flughafen. Die erst 1993 fertiggestellte Straße ("Ruta 11") folgt zunächst dem schmalen fruchtbaren Tal des Lluta-Flusses, zwischen Berghängen hindurch, auf denen vergangene Kulturen gewaltige "Geoglyphen" hinterlassen haben, dutzende Meter hohe Felsbilder aus dunklen Steinen, die Menschen und Tiere zeigen und dem Vernehmen nach Karawanen darstellen sollen.
Dann verläßt die Straße den Fluszlig;lauf und beginnt einen stetigen Anstieg in die noch vor wenigen Jahren kaum zugängliche Bergwelt hinein. In den unteren Höhenkilometern ist es die reinste Mondlandschaft, vollkommen frei von jeder Vegetation, aber dann, etwas unterhalb von 2000 Metern tauchen urplötzlich die Kandelaberkakteen auf, bis zu 5 Meter hoch, die den gelegentlich bis hier vordringenden Küstennebeln noch genug Feuchtigkeit entziehen können, um einige Millimeter im Jahr zu wachsen. Oberhalb von 2500 Metern verschwinden die Kakteen wieder, aber allmählich wird die Natur etwas grüner: Die Wirkung der bis über 6000 m hohen Berge, die vor uns liegen und die Teile des tieferliegenden Gebiets bewässern, macht sich bemerkbar. Hier und da gibt es jetzt sogar einen kleinen Wasserfall oder Schneereste. Und zuweilen finden sich überdies noch Ruinen aus der Inkazeit - auch halb Chile gehörte einmal zu diesem Imperium - wenn auch unauffällig, verglichen mit den Spuren in Perú.
Dort hatte die Reise zwei Wochen früher begonnen, denn wenn man sich schon einmal um den halben Erdball bemüht, soll neben SoFi und Natur auch etwas Kultur hängenbleiben. Den preiswertesten Flug bot im Herbst 1994 überraschenderweise die Alitalia an, die genau einmal in der Woche einen Jumbojet von Rom nach Lima schickt, der nach zwei Stunden wieder zurückfliegt: Den zu verpassen, ist nicht zu empfehlen. Perú - dieses Wort weckte bis dahin auch bei den Reiseteilnehmern vor allem Assoziationen von Kriminalität und Attentaten, auch wenn die letzten Berichte vom Ende des Bürgerkriegs gekündet hatten. In der Tat: Den einzigen Bombenalarm der ganzen Reise erlebten wir ausgerechnet im Frankfurter Flughafen... In Lima, 13 Stunden in der Luft und 24 insgesamt später, hatte uns ein vorsichtiges deutsches Reisebüro im zweitvornehmsten Stadtteil Miraflores untergebracht, fern ab vom bedrohlichen Stadtzentrum, aber mit dem Bus machten wir uns sogleich auf den Weg genau dorthin, um in den 1 1/2 Tagen, die wir der Hauptstadt widmen wollten, ja nichts zu verpassen. Erste Erkenntnis: ein ungeheurer Dieselgestank, der sich bald als Charakteristikum aller grossen Städte erweisen sollte. Lima selbst bot an diesem (Wochen-)Tag einen atemberaubenden Trubel, als ob die ganze Innenstadt ein einziger gigantischer Flohmarkt wäre. Noch traut sich kaum einer, eine Kamera mitzunehmen, aber bis auf einen (erfolglosen) Hemdtaschenaufschlitzer liess sich kein Bösewicht blicken - sollte es mit der Kriminalität vielleicht doch nicht so weit her gewesen sein? Der Mut und die Begeisterung für ein (noch) kaum bekanntes Land beginnen zu steigen.
Den nächsten Tag gingen wir planvoller an und "entführten" kurzerhand ein Colectivo, eine der unzähligen Sammeltaxen, die auf festen Routen durch die Stadt fahren und Passagiere, so viele der Wagen fasst, schneller als ein Bus und preiswerter als ein individuelles Taxi von Ort zu Ort befördern. Für einen ganzen Tag hatten wir nun einen Privatchauffeur, auch wenn das Verstauen von 6 Europäern in dem PKW gewiesse Kunstfertigkeit erforderte. Zu den Zielen gehörten die drei wichtigsten archäologischen Museen (besonders beeindruckend: das zugängliche Magazin des Larco Herrera, mit 40 000 Objekten in Regalen bis zur Decke, von denen jedes einzelne ein eigenes Museum verdient hätte) und zahlreiche Kirchen in der Innenstadt, darunter eine mit einem Labyrinth von knochenreichen Katakomben. Die ganze Stadt, so scheint es, war oder ist untertunnelt.
Aus dem in dieser Jahreszeit permanent trüben Lima ging es mit dem Flugzeug weiter nach Cuzco, dem "Garmisch Perús" in über 3000 Metern Höhe, dem der Ruf vorauseilt, 80 % der Besucher würden überfallen - und abermals war nichts davon zu bemerken. Die ehemalige Inka- Hauptstadt hat sich noch manche Spuren bewahrt (etwa unvermittelt auftauchende Mauern mit beeindruckend präzise gearbeiteten Fugen), dazu den typischen Stil der Kolonialisten - und besitzt eine hochmoderne Brauerei, bei der wir uns kurzerhand selbst einluden (die Adresse steht auf jeder Flasche Cusceña). Nach öberwindung des ersten Schocks besorgte uns die Rezeption einen Führer par excellence: den Braumeister selbst, der dank dreijährigen Studiums in Weihenstephan perfekt Deutsch sprach - und uns 1 1/2 Stunden lang in die Geheimniesse des vielleicht besten Bieres Südamerikas einführte, praktische öbungen inklusive...
Und Cuzco besitzt sogar eine Art Volkssternwarte! Dieser "Mirador" in den Bergen ist allerdings nur des phänomenalen Blicks auf die Stadt wegen eines nächtlichen Besuchs wert: Der Besucher findet im Wesentlichen eine leere Halle mit ein paar leidlich scharfen Aussichtsfernrohren vor, darunter eine müde Disko und darüber eine winzige Kuppel (ohne Lager, d.h. nur mit vereinten Kräften mehrerer Besucher zu drehen...), und darin ein Celestron-8. Das freilich war in jeder denkbaren Weise dejustiert und konnte von uns nur mit Mühe ein wenig auf Vordermann gebracht werden. Viel zu sehen gab es ohnehin nicht, denn obwohl die Nacht klar war, reduzierte die Lichterglocke von Cuzco ausgerechnet den für uns so interessanten Süden auf Grenzgrösse minus eins, und auch anderswo zogen immer wieder Staubschwaden über den Himmel, lag die (wie dem "Sternführer" zu entlocken war, einst von einem Amerikaner gestiftete) Institution doch direkt neben einer ebenso vielbefahrenen wie unbefestigten Strasse.
Nämliche hatte uns bereits zu einem Ausflug nach Machu Picchu befähigt, der absoluten Hochburg des peruanischen Tourismus, denn genau hierher hatten die Spanier nicht gefunden, weshalb die Inkastadt nur von den Kräften der Natur in Mitleidenschaft gezogen worden, ansonsten aber tadellos erhalten ist. Mit dem Bus geht es 6 Uhr morgens von Cuzco ins Urubambatal nach Olaytantambo, von wo ab nur noch ein Zug verkehrt: Der Urwald, der sich hier ausbreitet, hat bislang den Bau einer Strasse verhindert, und den mehrtägigen Marsch über einen der vielen noch erhaltenen Inkapfade wollten wir uns dann doch nicht antun. Die Fahrt endet gegen 10 im Tal auf rund 2000 Metern Höhe, während rundherum steile und vollständig bewaldete Berge einen weiteren Kilometer nach oben ragen. Eine serpentinenreiche Strasse führt dort hinauf; den Fluss und das Dorf Machu Picchu lässt man mehr und mehr unter sich liegen, und erst kurz bevor man die Ruinenstadt erreicht, wird sie sichtbar. Umringt von astronomisch orientierten oder inspirierten Bauten könnte man hier Tage verbringen, aber die spektakuläre Umgebung lockt genauso: Viele wagen sich auf den zuckerhutförmigen Berg, der auf allen Photos der Anlage im Hintergrund zu sehen ist, aber auch in der anderen Richtung gibt es genug zu ergründen. Ein Pfad führt am Hang entlang zu einer alten Inkabrücke, ein anderer (das Ende der heute berühmtesten aller Inkastrassen) zum Sonnentor und darüberhinaus.
Auch das moderne Dorf Machu Picchu hat etwas zu bieten: Nur von hier aus kann man etwas in den Dschungel vordringen, der überall sonst tatsächlich eine "grüne Mauer" bildet. Der "Eingang" liegt hinter den heiessen Quellen, die heute zu einer Art Heilbad ausgebaut sind (Eintritt für Ausländer: 5 Soles, also DM 4.-); erst windet sich der schmale Pfad noch durch lichtes Grün, aber dann geht es mitten hinein (und ständig bergauf) in den Urwald und duch mehrere Klimazonen hindurch. Ganz am Ende liegt ein Wasserfall, aber vorher erinnert die Landschaft eher an einen "Jurassic Park", mit 5 Meter hohen Farnen und stachelige Keulen schwingenden Palmen. Und dabei ist das Klima wegen der Höhe um 2500 Meter trotz grosser Feuchtigkeit um einiges angenehmer als es im tiefen Urwald im Osten Perús sein muss: Geradezu heilsam ist die Wirkung auf den heftigen Sonnenbrand, den sich der Autor tags zuvor in der unverhofft sonnigen Ruinenstadt zugezogen hatte. Bemerkenswert ist auch ein luxuriöses Hotel, das etwas abseits vom Dorf Machu Picchu entstanden ist und zwar über einen phänomenalen Garten samt Kolibris verfügt, aber keine Strasse: Einziger Zugang ist über die Gleise oder einen eigenen Bahnhof. Zwei Wochen vor der Sonnenfinsternis begann sie hier auch, ihren "Schatten" vorauszuwerfen: Eine grosse französische Reisegruppe war hier abgestiegen, die ganz im Zeichen der Sonne erst den Spuren des inkanischen Sonnenkults nachspüren und dann als Höhepunkt die SoFi beobachten wollte.
Bislang waren wir nördlich der Totalitätszone gewesen, näherten uns aber beständig dem Ziel: Von Cuzco ging es mit der Eisenbahn in halbtägiger (und im Gegensatz zu den Verheiessungen der Reiseführer reichlich ereignisloser) Fahrt nach Puno am Titicacasee, quer durch den Altiplano, der sich durch Schaf-, Llama- und Alpaka-Herden auf gelbem Gras auszeichnete, nur gelegentlich verziert von schneebedeckten 5000ern, den sogenannten Nevados, im Hintergrund. Spannender war da schon der Weg weiter nach La Paz, Bolivien: Der Bus umfuhr zuerst den 3800 Meter hochgelegenen See auf den umliegenden Hügeln, immer wieder typisch ländliche Dörfer durchquerend, aber dann ging es plötzlich abwärts und es hiess: Aussteigen! Zwecks Zeitersparnis (?) wurde der Bus (samt Gepäck) in arger Schräglage auf einer winzigen Fähre über eine schmale Stelle des Sees geschippert, während die Passagiere mit kleinen Booten bei steifer Brise nachfolgten. Auch die Einfahrt nach La Paz, das 3800 m hoch in einem Talkessel liegt, ist eine Augenweide: Aus 4100 m Höhe durch den erst 10 Jahre alten und ärmeren Vorort El Alto kommend, eröffnet sich plötzlich der Blick auf die höchstgelegene Metropole der Welt, die das Tal mit einem wahren Häusermeer ausgefüllt hat.
Hier bezogen wir Quartier inmitten des wahrscheinlich grössten Marktes der Welt in der Max-Paredes-Strasse, und weil das in den Augen der Fremdenverkehrsverantwortlichen eine arge Minderung des Wohnwertes darstellt (wir empfanden das gerade umgekehrt), hatte das La Joya nur zwei magere Sternchen (und entsprechend Niedrigstpreise), während der Komfort mindestens dreien entsprach. Die Stadt selbst erkundet man am Besten im Colectivo, einem Kleinbus, der bis zu 15 Passagiere aufnimmt und für ein paar Pfennige durch das dichteste Verkehrsgewühl irgendwann ans Ziel bringt. Zu den weniger bekannten Attraktionen gehört hier das Planetarium, das einzige des ganzen riesigen Landes und doch nur mit einigen dutzend Plätzen bestückt. Offen ist es fast nur für Schulklassen, die auch bis auf die Strasse hinaus Schlange standen; wir kamen dennoch hinein und konnten so einer für die bescheidenen technische Verhältniesse erstaunlich gelungenen Show zur SoFi alias Inti Jiwaña (gesprochen "Inti Chiwanja" = Tod der Sonne) beiwohnen. Eigens dafür hatte ein heimischer Avantgarde-Komponist die Musik geschrieben (und teilweise in Berlin eingespielt, wie er uns in fliessendem Deutsch erzählte), und das Ganze war Teil einer schon seit 18 Monaten laufenden Aufklärungskampagne gewesen.
Aber zurück nach Putre. Eine Minute vor dem 2.Kontakt, wenn der Mond die Sonne völlig bedeckt, nehmen die ersten schon die Filter von ihren Objektiven: Wäre der Himmel jetzt klar, dann müsste nach Erfahrungen der Vergangenheit bereits etwas Korona hinter dem Mond zu erkennen sein. Aber dafür ist die Wolkenschicht dann doch zu dick geblieben, doch was soll's: Wenigstens ist sie so homogen, dass einer späteren Auswertung der Koronaaufnahmen nichts im Wege stehen dürfte. Und dann ist die Korona plötzlich da, schlagartiger vielleicht als bei einer ganz klaren SoFi: Lange nicht so hell zwar wie 1991, aber von ziemlich ähnlicher Gestalt, mit zwei sehr langen Streamern nach Osten und Westen (was für uns senkrecht nach unten bedeutete). Protuberanzen sind mit dem blossen Auge nicht wahrzunehmen, wohl aber im Sucher der Kamera, die an einer der bekannten "Russentonnen" hängt, jenem ebenso preiswerten wie optisch fehlerfreien 10-cm-Maksutov russischer Fertigung, der dank polnischer Flohmarkthändler in den letzten Jahren seinen Siegeszug in der mitteleuropäischen Amateurastronomie angetreten hat. Mit einem Meter Brennweite kann er sowohl den Grossteil der Korona als auch Details von Chromosphäre und Protuberanzen einfangen, und das Ganze ohne jede innere Reflexion, wie sie bei so vielen anderen Spiegelsystemen stört, oder die Farbfehler und anderen Probleme kurzbrennweitiger Refraktoren.
Da für Sonnenfinsterniesse Diafilme (brilliante, kontrastreiche Projektion) und Negativfilme (viel grösserer Belichtungsspielraum - bessere Abzüge und mehr Auswertungsmöglichkeiten in der Dunkelkammer und im Computer) gleichermassen ideal sind, hatte ich eigentlich zwei Kamerabodies einsetzen wollen, mit Austausch zur Mitte der knapp dreiminütigen Finsternis, doch leider hatte einer tags zuvor bei einer Ausflugsfahrt in den nahen Lauca- Nationalpark (Vicunas, Vizcachas, schneebedeckte Vulkane, ein See auf 4500 Metern, Vögel aller Art) den Geist aufgegeben (es war wohl der allgegenwärtige Staub) - was tun? Natürlich den Film zur Totalitätsmitte wechseln! Der Trick ist, sich kurzerhand psychisch für 30 Sekunden vom dramatischen Finsternisgeschehen "abzukoppeln", den neuen Film einfädelbereit und (sicherheitshalber) von einer Taschenlampe beleuchtet am Stativ kleben zu haben und dann einfach zu handeln, als wenn nichts wäre - die Sekunden des Zurückkurbelns des vollen Films lassen sich dabei gut für's Schweifenlassen des Blicks verwenden. Und die Operation gelang: Beide Filme sind etwas geworden, alles Wesentliche ist im Kasten.
Der Blick in die finstere Runde lohnte sich diesmal besonders, denn im Gegensatz zur wegen der besonders hellen Korona und des Pinatubo-Staubes in einem milchig hellblauen Himmel stehenden 91er Korona, umgab die matt schimmernde von 1994 tiefste Bläue mit einem Trend zum Violetten - und dicht daneben die Venus fast im grössten Glanz und just am Tage der unteren Konjuktion, die wegen der Wolken erst im Moment der Totalität gleichzeitig mit der Korona "angeknipst" worden war. Weit weniger auffällig stand noch unter der Sonne der Jupiter und darüber, visuell kaum wahrnehmbar, der Merkur. In der Umgebung - die Ruta 11 in der Ferne war mit Autos völlig zugeparkt, und auch auf umliegenden Bergen standen SoFi-Fans - waren zur gleichen Zeit in unbeschreiblichem Surround-Sound Jubelschreie tausender zu hören und die wohl unvermeidlichen Blitzlichter einiger Unverbesserlicher zu sehen. Praktisch überall auf dem südamerikanischen Kontinent herrschte in diesen Minuten kaum bewölkter oder ganz klarer Himmel, wird später zu erfahren sein, auch in den Urwäldern im Osten und auf hoher See vor Brasilien, wo gut 4 Minuten Totalität zu bewundern sind. Und sogar auf stürmischer See südlich von Südafrika sollte später ein paar ganz Finsternisverrückten ein Wolkenloch den Blick auf die Atmosphäre der Sonne eröffnen.
Wie jede andere Finsternis vorher, so ging auch diese zuende, ehe sie so richtig begonnen hatte, das Licht der Photosphäre brach 3 Sekunden zu früh wieder durch ein Mondtal hervor (so eine Blitzanalyse japanischer Himmelsmechaniker), was die Totalität auf gerade einmal 2 Minuten und 55 Sekunden beschnitt - na ja, immer noch doppelt so lang als es am 24.Oktober dieses Jahres in Indien sein wird. Jetzt halfen die Wolken sogar, liess sich doch der nach Osten mit zweifacher Schallgeschwindigkeit davonrasende Mondschatten noch für etliche Sekunden verfolgen, während es um uns herum schon wieder hellichter Tag zu sein schien (eine Illusion natürlich, denn die Augen waren in den drei Minuten gut dunkeladaptiert worden). Und noch während die zweite partielle Phase - die traditionsgemäss fast niemanden mehr interessiert - andauerte, konnten wir im chilenischen Frühstücksfernsehen eine Wiederholung der dramatischen Augenblicke geniessen: Exzellente Bilder der V- förmigen Korona und auch gute Weitwinkelansichten mit der Landschaft, Venus und Jupiter. Allein der 4. Kontakt liess dann noch einmal Spannung aufkommen (wie lange ist noch eine Delle am Sonnenrand mit verschiedenen Teleskopen wahrzunehmen?), dann war es vorbei - und auf der Ruta 11 hatte längst der grosse Treck zurück nach Arica begonnen. Nicht so freilich für die meisten von uns: Die Flamingos vom Salzsee von Surire warteten noch, und die Kondore vom Colca-Cañon in Perú. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass sich an allen Tagen NACH der Sonnenfinsternis kaum mehr eine Wolke am Himmel über Nordchile blicken liess...
Um zum Salar de Surire zu gelangen, brauchten wir einen grösseren Vorrat Benzin, als die kleinen Kanister fassten, die wir mit einiger Mühe an Allerheiligen in Arica aufgetrieben hatten - ob vielleicht unsere Militärs Rat wüssten? Ein Deutsch Sprechender hatte uns den Namen eines möglicherweise Zuständigen gegeben, und mit dem Notizzettel bewaffnet, wurden wir am Abend am grossen Tor der Kaserne vorstellig. Ein Soldat hüpfte hinten auf unseren Pickup und lotste uns kreuz und quer über das Gelände, bis wir die Halle erreichten, wo die Motorräder und ihr Benzin gelagert waren. Man begann, ein riesiges Ölfass in viele kleine Kanister umzufüllen - aber wir hatten doch nur um einen leeren gebeten? Dann begannen die inzwischen zahlreicher Gewordenen, das Fass auf unseren Truck zu hieven: Es hätte gefüllt wohl bis nach Feuerland gereicht... Schliesslich löste sich unter einigem Gelächter das Miessverständnis, und wir konnten mit einem harmlosen 20-Liter-Kanister leihweise von dannen ziehen; Benzin gab's übrigens zum normalen Preis direkt von einem Tankwagen.
Um den Salzsee mitten in der Wüste zu erreichen, verlässt man die Ruta 11 im Lauca-Nationalpark nach Süden, kurz hinter der Stelle, wo die Vizcachas besonders zahlreich vorkommen (jeder Reiseleiter kennt die Stelle; es gibt sogar ein extra Verkehrsschild). Der Gesichtsausdruck dieser "Andenhasen" ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber dafür besitzen sie ausserordentlich lange Schnurrhaare. Die meiste Zeit sitzen sie regungslos auf Felsen herum, sind aber auch zu gewaltigen Sprüngen fähig. Der Grund, warum sie sich gerade hier versammeln, sind nicht die Reisebusse, die hier stets anhalten, sondern die nahen "Bofedales", Sumpfgebiete mitten in der Trockenheit, wo das Wasser wieder an's Tageslicht tritt, das an den dutzende Kilometer entfernten Vulkanen an der Grenze zu Bolivien als Schnee gefallen und durch den porösen vulkanischen Boden bis hierher geflossen ist. Dieses hydrologische Phänomen prägt die ganze Landschaft: Man kann viele Kilometer durch trockenstes Terrain fahren, und plötzlich schiesst aus dem Boden mit manchmal vielen Litern pro Sekunde klarstes Wasser und begrünt einen kleinen Streifen, wo sich prompt die Vicunas, die ursprünglichen wilden Kamelartigen ("Cameloids") der Hochebenen einfinden, bzw. ihre domestizierten Nachfahren, die Llamas und Alpakas, aufgestellt werden.
Biegt man also hinter den Andenhasen rechts ab, so endet die perfekt ausgebaute Ruta 11, und das Abenteuer beginnt: Auf einer Wellblechpiste geht es nach Süden und bis in 4500 Meter Hoehe hinauf, vorbei am vor sich hin qualmenden Vulkan Guallatire und immer wieder Staubteufeln, gar nicht so kleinen aber kurzlebigen staubgefüllten Windhosen. Die Weite der Landschaft ist überwältigend, einsam ist sie allerdings nicht: Immer wieder nahen, von gewaltigen Staubfahnen angekündigt, in rasender Fahrt LKWs, zuerst von einer Goldmine, später bereits vom Salzsee her. Denn der ist nur zur Hälfte ein geschütztes "Naturmonument", die andere wird abgebaut. Doch da, wo sie ungestört sind, haben sich zuhauf Flamingos eingefunden, denen die Höhe (4000 m!) und die nächtliche Kälte nichts ausmachen, und die die salzigen Wassertümpel dafür umso anziehender finden. Uns zog es dagegen für die letzte Woche des 24tägigen Trips zurück nach Perú: Um die Grenze mitten in der Wüste zu überwinden, nimmt man am besten ein Taxi (die Fahrer kennen die Zöllner schon - die Formalitäten dauern keine 5 Minuten) und erreicht so Tacna, von wo aus das Ziel Arequipa heiessen sollte. Diese Stadt, Wohn- und Wirkort des ersten Himmelsmechanikers und Ephemeridenrechners Perús im 19.Jh., der unsere SoFi mit der Hand auf den Tag genau vorausgesagt hatte, liegt ebenfalls in der Wüste, zu Füssszlig;en mehrerer beeindruckender Vulkane und hat als Hauptattraktion eine jahrhundertelang abgeschirmte Klosterstadt in ihrer Mitte, die erst seit 1970 besucht werden kann.
Von hier aus lässt sich am vergleichsweise einfachsten der Colca-Cañon besichtigen, der angeblich tiefste der Welt, wenn es auch Ermessenssache ist, von von nach wo man die Höhendifferenz (bis zu 3000 m) miesst. Mit einem ausnehmend kleinen Minibus (exakt einem der für den Stadtverkehr optimierten Colectivos aus La Paz identisch) kutschierte uns ein etwas wundersamer lokaler Reiseveranstalter über den wieder kameloidreichen Altiplano und einen Pass bis knapp 5000 m Höhe nach Chivay, von wo es am nächsten Morgen um 6 zur Kondorbesichtigung gehen sollte. Noch im Abendgrauen gewahrten wir eine seltsame Wolke über einem Vulkan am Horizont - was mochte da vorgehen? Nichts geringeres als eine Explosion, wurde am nächsten Morgen klar: Punkt 6 Uhr sprengte der Sabancaya seine Kuppel ab (im Feldstecher sah's aus wie der Untergang des Mt. St.Helens 1980, nur etwas kleiner), dann stieg eine beachtliche Qualmwolke bis in die Stratosphäre, die allmählich vom Winde zerzaust wurde.
Das komme bei diesem Vulkan alle paar Monate vor, bescheinigte mir später ein Experte für peruanische Vulkane, und sei ungefährlich - vielleicht, aber ein schweres Erdbeben von 1991, dessen Spuren wir bei der morgendlichen Fahrt in den Cañon hinein im Dorf Maca noch sehr stark zu Gesicht bekamen, könnte mit seiner Aktivität im Zusammenhang stehen, und einen Tag nach der Explosion bebte auch prompt in Arequipa die Erde mit Richter-Stärke 5. Die Kondore des Cañons waren übrigens bis auf einen Nachzügler schon ausgeflogen, aber die Schlucht ist auch sonst eine Reise wert: An den schroffsten Stellen (bei dem vermeintlichen Kondor-Flugplatz geht es 1200 m in die Tiefe) steht der Fels fast senkrecht, an den flacheren Hängen nahe Chivay hat man unzählige Terassen angelegt, und über der Strasse sind prähistorische Gräber in den Fels geschlagen. Und um den Reigen der überaus vielfältigen Landschaftsformen Perús abzuschliessen, begaben wir uns zu guter Letzt auch noch mit öffentlichen Bussen an die Pazifikküste, um eine besonders vogelreiche Lagune in der Nähe von Mollendo in Augenschein zu nehmen. Dann war der Rückflug via Lima, Rom und Frankfurt nicht mehr abzuwenden - vielleicht aber nur eine "vorrübergehende Rückreise", wie wir es beim öberqueren der "Nevados" der Alpen im letzten Abendlicht und dem Eintauchen in die undurchdringliche deutsche Wolkendecke ausdrückten.