Der letzte Kometenreport (Nr. 6) vor dem grossen Knall: 16.7.1994 4:10 CST --------------------------------------------------------------------------- Noch ist er da, der Komet, von dem bald nichts mehr uebrig sein wird: Heute Nacht ist es Pat Seitzer ueberraschend gelungen, ihn noch einmal ganz dicht neben dem Jupiter aufzunehmen, 16 Stunden vor dem Absturz des Fragments A (das auf der aufsummierten Aufnahme, 24 x 3 Minuten, allerdings nicht mehr zu sehen ist). Zwar wird die Kometenkette erst sichtbar, wenn man das Streulicht Jupiters mit aufwendigen Filtermethoden abzieht (uebrig bleiben nur die wahr- haft bizarr aussehenden Anteile des Streulichts mit hoher Ortsfrequenz),aber dann sind mehrere Fragmente (Q vor allem) und der Koma-Strich noch gut zu erkennen (wenn man weiss, wo man hingucken muss...). Da der Himmel voellig klar war (perfekte Milchstrasse trotz Halbmond) ist es noch einmal geglueckt - gestern hat es dagegen nicht geklappt. Seitzer und ich hatten dann die Zeit vor dem Monduntergang (wenn er sich 'richtiger' Astronomie zuwendet) damit verbracht, den Jupiter mit der ST-4-CCD-Kamera des Tracking-Leitrohres aufzu- nehmen - mangels Verschlusses der Kamera praktisch unmoeglich. So musste der dunkelste Filter her und der Klappspiegel, der das Licht wahlweise zur ST-4 oder einem Okular leitet, als Shutter entfremdet werden. Waehred Seitzer den Spiegel bediente, drueckte ich die Knoepfe am PC, der die Kamera steuert; dann machte sich Seitzer an den Kabeln zu schaffen und bugsierte die Daten tatsaechlich in die Workstation und in's iraf-Programm. Leider vergebens: die Planetenscheibe war komplett saturiert, aber wenigstens die Monde scharf ... Inzwischen sind alle Absturzbeobachter eingetroffen und haben mit Vorabexperi- menten begonnen, praktisch alle Teleskope sind fuer den Kometensturz belegt. Nur was genau und wie sie beobachten sollen, scheinen einige noch nicht zu wis- sen - so wie einer (Name sei verschwiegen), der sich erst heute morgen um drei fragte, wo eigentlich die Jupitermonde staenden und wie man wohl die Licht- blitze am besten photometrieren koenne. Ob ich denn wuesste, wie lang die Blitze dauern wuerden und welche Farbe sie haetten? Fast alle Gruppen wollen bereits am Tage den A-Crash zu beobachten versuchen, gestrige Experimente mit der Sichtbarkeit Juppis am Nachmittag waren offenbar vielversprechend. Nur ob etwas zu sehen sein wird, da hat sich hier ziemlicher Sarkasmus breitgemacht (nicht zuletzt wegen Weissman's "The Big Fizzle"-Artikel) und die von einem Rundfunksender hergefaxte SPIEGEL-Titelseite "Gefahr fuer die Erde?" war fuer manche Lacher gut (wie heisst es da doch: Jupiter wird doppelt so hell und blutrot? :-). Nachdem Weissman die Oeffentlichkeit via Nature auf ein Nicht-Ereignis vorbe- reitet hat, behauptet er jetzt 'intern' das Gegenteil: Ueber den SL-9-Mail-Ex- ploder laesst er verlauten, dass "als Konsequenz aus dem Modell ..., das in Nature diskutiert wurde, der Eintrittsblitz jedes Fragments erheblich h e l l e r (Hervorhebung DF) sein koennte als bisher vorausgesagt. Da jedes Fragment als Schrotladung eng beieinanderliegender Teilchen anstatt als ein Festkoerper eintreten wird, ist die fuer Ablation und Bremsung zur Verfuegung stehende Oberflaeche groesser. Zusaetzlich koennte die terminale Explosion der angenommenen 50-Meter-Kometesimals... deutlich ueber den sicht- baren Wolken stattfinden und zu einem sehr hellen sichtbaren Blitz fuehren." Wenn also solche hellen Blitze beobachtet wuerden, hiesse das keineswegs, dass die Kerne doch groesser gewesen seien, sondern dass sein Modell richtig war:-). Gleichzeitig sind zwei Auswertungen von Planetary-Camera-Aufnahmen des HST von Januar bis Juli 1994 bekanntgeworden, die das Bild des Kometen weiter ver- komplizieren. Da ist zum einen die Feststellung, dass die meisten Fragmente ihre Helligkeit kaum veraendert haben, doch sechs im Juni und Juli "einen ziemlich dramatischen Helligkeitseinbruch" erlitten. Und seit Mai sind die meisten der vorher eher rundlichen Kometenkomae in Richtung Jupiter laeng- licher geworden (was auch zahlreiche erdgebundene Aufnahmen, von Kitt Peak ueber NTT bis Seitzer zeigen; DF), und Fragment P2 scheint sich in zahlreiche Bruchstuecke aufgeloest zu haben, die jetzt auseinanderdriften. Andererseits hat sich Z.Sekanina der HST-Aufnahmen des gleichen Zeitraums angenommen und festgestellt, dass man es drehen und wenden koenne, wie man wolle - es gaebe eindeutig 'major point sources' inmitten der meisten Komae. Diese festen Kerne seien bis zu 4 km(!) gross (naemlich bei G, Q1 und S), wenn man eine Albedo von 4% (also wie bei Halley) annaehme. Nach dem von Weissman favori- sierten Modell war freilich der ganze urspruengliche Kern maximal 1.5 km gross, und keiner der Subkerne kann mehr als 1 km Durchmesser haben... Doch Sekanina findet auch, dass es in den Komae weitere, schwaechere Punkt- quellen gibt (manchmal bis zu 8 Stueck): Das seien wohl abgebrochene Kern- stueckchen, die neben den Hauptkernen herfloegen. Aber dem offensichtlich fortschreitenden Zerfall der Kerne zum Trotz "scheinen Anfang Juli Objekte von einigen km Groesse noch vorhanden zu sein", und dass deren Durchmesser- Bestimmungen zu verschiedenen Zeitpunkten um den Faktor 2 schwanken, fuehrt Sekanina darauf zurueck, dass sie eine stark irregulaere Gestalt haben und der Erde mal die lange und mal die kurze Seite zeigen. Selbst wenn das stimmt (und so grosse Kerne waehnt in den Komae sonst eigentlich niemand), dann heisst das freilich nicht, dass die Kerne auch in den letzten Stunden (die fuer die ersten bereits begonnen haben!) intakt bleiben und nicht doch noch in viele ganz kleine Brocken zerfallen. Selbst in diesem Fall, wenn es also statt einer gewaltigen Explosion pro Kern jeweils nur einen jovianischen Meteorsturm gibt, erwartet uebrigens das Kamerateam der Galileo-Sonde, dass "wir die Impakte nachweisen koennen." Allerdings ist mit der Uebertragung der ersten richtigen Daten nicht vor Mitte August zu rechnen. Der andere Raumflugkoerper, auf den nun alle Augen gerichtet sind, ist das Hubble Space Teleskop, dessen meiste Beobachtungen zunaechst nicht veroef- fentlicht werden (im Gegensatz zu vielen erdgebundenen Teleskopen, die ihre Kometen- und Jupiterbilder nahezu in Echtzeit um sich werfen - die Computernetze sind schon jetzt voll davon!). Ausnahme ist die 'Liveueber- tragung' heute nacht, d.h. die Veroeffentlichung von Jupiteraufnahmen nach dem A-Ereignis (das nach der allerneuesten Ephemeride exakt um 16:00 EDT, 20:00 UTC, 22:00 MESZ eintreten wird): Nur 6 Stunden spaeter sollen sie 'unzensiert' der Oeffentlichkeit vorgestellt werden. Ob das eine so gute Idee ist, darueber scheint man sich im Space Telescope Institut aller- dings uneins zu sein: Wie ein Mitarbeiter verlauten liess, zeigen die "wahr- aft exquisiten" Jupiter-Bilder der letzten Tage "eine Fuelle von komplexem Detail in den suedlichen Breiten" - just da, wo die Truemmer allesamt ein- treffen werden. "Das Herausfinden der impaktinduzierten Effekte," so der Hubbologe, "wenn es denn ueberhaupt welche geben wird, aus dem Repertoire, das Jupiter ganz alleine beherrscht, wird keine triviale Aufgabe sein und die besten Faehigkeiten der Leute erfordern, die Jupiter bestens kennen." Ob das nahezu in Echtzeit live auf NASA Select & CNN zu machen ist...? Klarere Ergebnisse als im Visuellen sind vermutlich im Infraroten zu erwar- ten: Mehrere erdgebundene Aufnahmen im Bereich zwischen 2 und 3 Mikrometer sind jetzt veroeffentlicht worden, und sie zeigen einen ganz anderen Jupiter als wir ihn kennen (hatte heute nacht Gelegenheit, ihn bei hoher Vergroes- serung in einem 16-Zoeller zu betrachten: Noch ganz der Alte...). Er ist in diesem Spektralbereich sehr dunkel (Absorption von Methan und molekularem Wasserstoff), und wenn sich etwas oberhalb des groessten Teils der Atmo- sphaere abspielt, sollte es hell gegen den dunklen Hintergrund erscheinen. Selbst kleine Woelkchen sollten sich durch den Kontrasteffekt bemerkbar machen, auch wenn erdgebundene Teleskope bei weitem nicht die Abbildungs- schaerfe Hubbles leisten koennen (das dafuer im IR derzeit noch blind ist). So also sieht es aus, nunmehr exakt 12 Stunden vor dem ersten Crash! Ein et- was komisches Gefuehl ist es schon, auch wenn es *weit* weg passiert. In 24 Stunden wird die Menschheit vielleicht schon erheblich schlauer geworden sein. Und fuer kommenden Montag hat man offenbar hier mitten auf dem Berg eine gewaltige Pressekonferenz angesetzt - wohl, damit die ESO mit ihren taeglichen (und mitunter reichlich ueberschwenglichen) Berichten nicht den ganzen Ruhm erntet... Erster Bericht nach dem ersten Einschlag (Nr.7), CTIO, 16.7.1994, 20:00 CST --------------------------------------------------------------------- Es ist unglaublich: Das A-Fragment, eins der kleinsten ueberhaupt, hat in der Atmosphaere Jupiters gravierende Spuren hinterlassen! Zwar waren der Einschlag und eventuelle schnelle Effekte hier wegen Wolken am Tage nicht zu beobachten, aber seit kaum 1/2 Stunde spaeter die ersten positiven Sichtungen einer 'plume' im Infraroten eintrafen (der allererste ausgerech- net aus Europa, vom Calar Alto), harrte alles ungeduldig einer Wolkenluek- ke. Gegen 19:30 kam sie endlich, und die Infrarotkamera des 4-m-Teleskops funktionierte: Brilliant scharfe Bilder zwischen 1 und 2.5 Mikrometer, die den Planeten selbst sehr dunkel zeigen (Methanabsorption), aber zwei helle Polkappen - und drei helle Flecken auf der Suedhemisphaere, von denen der beit weitem hellste ungefaehr im Meridian steht und vom Einschlag herruehren muss. Je weiter man mit der Wellenlaenge heraufgeht, desto schwaecher werden die anderen Strukturen, bis nur noch die 'Plume' und die Polarkappen uebrigbleiben: die Wolke muss sehr hoch in der Atmosphaere angesiedelt sein. Wenn bereits ein so kleines Fragment einen so grossen Effekt ausloesen kann, was mag dann erst nach den Einschlaegen der groesseren Brocken los sein? Hier die ersten Blitzmeldungen aus dem SL9-Mail-Exploder von 3 Kontinenten: From: mantel Date: Sat, 16 Jul 1994 22:28:15 +0100 Subject: Impact A observed at Jupiter Information from Calar Alto Impact A was observed with the 3.5m telescope at Calar Alto using the MAGIC camera. The plume appeared at about nominal position over the limb at around 20:18 UT. It was observed in 2.3 micron methan band filter brighter than Io. Tom Herbst, Doug Hamilton, Jose Ortiz, Hermann Boehnhardt, Karlheinz Mantel, Alex Fiedler From: Richard Hook Subject: Plume observation from ESO La Silla at 10um Date: Sun, 17 Jul 1994 00:17:17 +0200 We have information from La Silla that a plume seems to have been observed at 10um with TIMMI at the 3.6m telescope. The observers are reducing the data and an image is expected to be available on the ESO WWW portal (URL: http://www.hq.eso.org/educnpubrelns/comet.html) in the near future along with further details. Richard West From: campins Subject: report from La Palma 4.2m Date: Sat, 16 Jul 94 18:11:36 -0400 We just finished our first observing session, very hectic. We have no obvious flashes but will go through the data carefully. The Granada people saw it at 2.3 um and the NOT (Nordic Optical Telescope here on this mountain) got it very clearly at 10 um, both imaging Jupiter. S. Larson H. Campins F. Moreno A. Molina Date: Sat, 16 Jul 94 18:12:29 -0500 From: Mordecai-Mark Mac Low Subject: SPIREX detection at 2.36 microns (POST) The South Pole Infrared Explorer (SPIREX), a 60 cm telescope, has detected the plume from fragment A at 2.36 microns. At 20:25 UT it was still brighter than Io. Brightness diminished rapidly during the next two minutes, but it remained visible at this wavelength (CO filter) for 20 minutes. Images at other wavelengths are being transferred back from the pole currently. M. Hereld, H. Nguyen (at S. Pole Station), B. Rauscher, S. Severson Astronomy & Astrophysics Center, University of Chicago Date: Sat, 16 Jul 94 16:37:57 MST From: John R. Spencer Subject: Plumes at CTIO! Confirmation of very bright plume at 2.3 and 1.7 microns from impact A from CTIO. Brighter than polar caps at 2.36 microns!! Also two fainter spots visible closer to the equator visible at 1.7 microns- these might be a normal meterological phenomenon though... John Spencer Darren Depoy OSIRIS, CTIO 4-meter 7/16 23:30 UT