Das war gar nicht so einfach: Die jüngsten passenden Bilder waren aus Hong Kong und Singapur und stammten vom 24. bis 29. August, als die Polkappe etwas noch größer war; nennenswerte Veränderungen der Albedostrukturen sollte es in der Woche seither aber nicht gegeben haben. Außerdem hatte ich vergessen, daß an den 16-Zöller (den ich vor Monaten einmal für Videoaufnahmen des Jupiter verwendet hatte) fest ein einfaches Zenitprisma montiert ist, das ein seitenverkehrtes Bild liefert: Man hätte die asiatischen Bilder spiegeln sollen. Aber da muß man eben umdenken. Gegen 22:45 Uhr MESZ wird das Teleskop in Betrieb genommen, und mit Bangen klettere ich auf die Leiter ans Okular. Noch steht der Mars ziemlich tief am Himmel: Was würden unsere Gäste sagen, wenn die Luftunruhe alle Details zu einem orangefarbenen Brei verschmieren würde? Die meisten hatten überdies noch nie durch ein Teleskop geschaut.
Aber was war das? Das Bild steht - blendend hell - wie gemeißelt im Gesichtsfeld, kaum Seeing, stattdessen sofort die Polkappe zu sehen und quer über das gelbe Planetenscheibchen als breiter Strich das Mare Sirenum und das Mare Cimmerum und, deutlich abgetrennt, das Mare Tyrrhenum, dazu im hohen Norden Spuren von Utopia. Eigentlich eine uninteressantere Seite des Planeten, doch verblüffend kontrastreich - und dem Publikum gefällt's! Mit 24.7 Bogensekunden Durchmesser ist er nur 1.5% kleiner als während der Rekord-Erdnähe eine Woche zuvor: Alle können sofort einige Details erkennen und vergleichen sie emsig mit den Ausdrucken der WWW-Bilder. Sie erweisen sich auch als Motivationsquelle, immer wieder zum Okular zurückzukehren, obwohl der Planet nur langsam weiterrotiert. Lediglich seine enorme Helligkeit stört: Dagegen hilft zum einen die Steigerung der Vergrößerung auf etwa 300-fach und zum anderen eine Off-Axis-Blende mit etwa 20 cm Durchmesser aus schwarzer Pappe, die wir vor der Korrekturplatte anbringen: Dadurch werden auch die Bildruhe und -definition etwas besser, neue Details erscheinen allerdings nicht.
Aus den WWW-Bildern wissen wir, daß in ein paar Stunden auch die Große Syrte und Hellas auf die sichtbare Seite wandern werden, und die meisten Gäste bleiben tatsächlich und wollen auch das noch sehen: In der Tat erscheint bald ein dunkles schmales Gebilde am Rand des Planetenscheibchens, hinter dem es wieder heller wird. Und als wir gegen 1:30 Uhr MESZ zusammenpacken, ist die Syrte schon recht deutlich zu erkennen. Das Seeing hatte sich kurioserweise mit steigender Marshöhe allmählich verschlechtert, was der Trick mit der Off-Axis-Blende allerdings gut abwehren konnte. Zwischen den visuellen Beobachtungen hatte ich auch immer wieder Videoaufnahmen mit einem Camcorder gemacht, freihändig und direkt durch's Okular: Der Eindruck des Auges wird so recht realistisch eingefangen. Es empfiehlt sich (v.a. bei Verwendung einer Objektivblende), eine geringere Vergrößerung einzusetzen und voll heranzuzoomen, sonst stören schon geringste Verunreinigungen der Okularlinsen erheblich.
Mit einiger Mühe (und tatkräftigem Einsatz einer Sekretärin, die einen SCART-Stecker mit Gewalt in eine eigentlich zu klein geratene Buchse eines Fernsehers presst) gelingt es aber doch, ein paar Sekunden des Bochumer Mars- Clips direkt aus dem Camcorder zur Vorführung zu bringen, mit dem er einst aufgenommen wurde. Zwar hüpft das Bild wegen der freihändigen Techik etwas herum, aber das gute Bochumer Seeing und die hohe Schärfe sind evident: »Ist ja besser als das von der Volkssternwarte«, murmelt die Verantwortliche (welche VSW sie dabei meint, sagt sie nicht) - und das ZDF will den Clip tatsächlich haben, für eine eventuelle Verwendung in einem neuen dreiteiligen Astro-Rundumschlag kurz vor dem Jahreswechsel. Die ZDF-Redakteure geben gleich zu, daß sie oft genug dasselbe Material wiederverwenden (müssen) und daher für jeden sehenswerten Astro-Take dankbar sind, der noch nie gesendet wurde: Das sei durchaus als Einladung auch an andere Amateurastronomen zu verstehen, besonders gutes Material anzubieten.
Nachdem die Würfel gefallen sind, muß ein Antrag ausgefüllt werden: Die Kopie des DV-Videos auf ein professionells Format sollen die benachbarten Bavaria-Studios übernehmen. Durch endlose Gänge geht es in ein Kopierstudio, wo jedem Videofan die Augen übergehen würden: Hier können nicht nur kleine und große DV-Kassetten über einen absoluten High-End-Player (mit automatischer Videokopfpflege und Datenfehlererkennung!) wiedergegeben werden, sondern die Signale auch in mehreren modernen TV-Formaten aufgezeichnet werden. Der Bochumer Mars erlebt die höchsten Weihen der Fernsehtechnik: Die insgesamt 12 Minuten werden parallel ins klassische analoge und ins digitalen Betacam-Format gewandelt. Ob sie es schließlich auf die deutschen Bildschirme schaffen werden, hängt natürlich auch von der Konkurrenz ab: So wurde auch noch ein (VHS-)Video aus Namibia erwartet. Der Ausflug war jedenfalls die Mühe wert: Spontan veranstaltet einer der Bavaria-Techniker noch eine ausgiebige Führung durch die anderen Studioanlagen, inklusive jenes Schnittplatzes, wo die Bublath-Sendungen zusammengestückelt werden.
Heute richtete sich der Eintrittspreis nach der Wolkensituation: Immer wenn sich gerade mal wieder ein (schmaler) Wolkenstreifen vor den Mars geschoben hat, sinkt er von 4 auf 2.50 Euro. Auch das Seeing läßt meist zu wünschen übrig, dafür gibt es aber gleich drei Teleskope zur Auswahl: Refraktoren mit 10, 7 und 4 Zoll Öffnung. Immer dann, wenn eine Wolke den Mars gerade im Begriff ist zu verdecken oder wieder freizugeben, ist das Seeing besonders gut, der gänzlich freistehende Mars wird dagegen oft von wüsten Schlieren verunstaltet. Zwischen den Besuchern halte ich immer wieder mal die Videokamera hinter die Okulare - und auf dem kleinen LCD-Bildschirm erscheint der Mars hernach deutlich kontrastreicher. Auch zur Freude vieler Besucher, die im Okular zuvor fast nichts gesehen hatten. Die winzige Polkappe ist da - und das »Marsauge«, der kleine runde dunkle Solis Lacus, der sich allmählich dem Zentralmeridian nähert. Ausgerechnet im 4-Zöller, einem historischen Original-Merz-Refraktor, erscheint er gegen 22:30 Uhr am spektakulärsten: tatsächlich wie ein fernes Auge, der Mars guckt zurück ...
Erste Fassung: 25. September 2003