Mars für alle - 14 Tage im September

Beobachtungen nach der Mars-Opposition 2003

von Daniel Fischer, Königswinter
Eigene Bilder und verarbeitete Märse folgen später

4. September, in Bochum

Seit Tagen schon bietet das Astronomische Institut der Universität an jedem klaren Abend die Möglichkeit an, durch den 16-Zöller auf dem Dach einen Blick auf den Mars zu werfen. Dafür geworben wird nur auf der Webseite des Instituts und auf Aushängen im Gebäude, denn große Volksmassen könnte das Institut gar nicht versorgen. Heute helfe ich bei der Betreuung der Besucher: Acht sind am angegebenen Treffpunkt erschienen, aber werden sie auch zufrieden sein? Zwar ist der Himmel sehr klar, aber gestern, so war uns erzählt worden, sei das Seeing so schlecht gewesen, daß man nicht einmal mehr die (in den letzten Tagen ohnehin stark geschrumpfte) Polkappe habe sehen können. Eigentlich als Trostpreis hatte ich daher aus der legendären japanischen Datenbank aktueller Marsaufnahmen aus der ganzen Welt Bilder herausgesucht und ausgedruckt, die bei ähnlichen Zentralmeridianen entstanden waren, wie es in den kommenden Stunden wiederkehren würden.

Das war gar nicht so einfach: Die jüngsten passenden Bilder waren aus Hong Kong und Singapur und stammten vom 24. bis 29. August, als die Polkappe etwas noch größer war; nennenswerte Veränderungen der Albedostrukturen sollte es in der Woche seither aber nicht gegeben haben. Außerdem hatte ich vergessen, daß an den 16-Zöller (den ich vor Monaten einmal für Videoaufnahmen des Jupiter verwendet hatte) fest ein einfaches Zenitprisma montiert ist, das ein seitenverkehrtes Bild liefert: Man hätte die asiatischen Bilder spiegeln sollen. Aber da muß man eben umdenken. Gegen 22:45 Uhr MESZ wird das Teleskop in Betrieb genommen, und mit Bangen klettere ich auf die Leiter ans Okular. Noch steht der Mars ziemlich tief am Himmel: Was würden unsere Gäste sagen, wenn die Luftunruhe alle Details zu einem orangefarbenen Brei verschmieren würde? Die meisten hatten überdies noch nie durch ein Teleskop geschaut.

Aber was war das? Das Bild steht - blendend hell - wie gemeißelt im Gesichtsfeld, kaum Seeing, stattdessen sofort die Polkappe zu sehen und quer über das gelbe Planetenscheibchen als breiter Strich das Mare Sirenum und das Mare Cimmerum und, deutlich abgetrennt, das Mare Tyrrhenum, dazu im hohen Norden Spuren von Utopia. Eigentlich eine uninteressantere Seite des Planeten, doch verblüffend kontrastreich - und dem Publikum gefällt's! Mit 24.7 Bogensekunden Durchmesser ist er nur 1.5% kleiner als während der Rekord-Erdnähe eine Woche zuvor: Alle können sofort einige Details erkennen und vergleichen sie emsig mit den Ausdrucken der WWW-Bilder. Sie erweisen sich auch als Motivationsquelle, immer wieder zum Okular zurückzukehren, obwohl der Planet nur langsam weiterrotiert. Lediglich seine enorme Helligkeit stört: Dagegen hilft zum einen die Steigerung der Vergrößerung auf etwa 300-fach und zum anderen eine Off-Axis-Blende mit etwa 20 cm Durchmesser aus schwarzer Pappe, die wir vor der Korrekturplatte anbringen: Dadurch werden auch die Bildruhe und -definition etwas besser, neue Details erscheinen allerdings nicht.

Aus den WWW-Bildern wissen wir, daß in ein paar Stunden auch die Große Syrte und Hellas auf die sichtbare Seite wandern werden, und die meisten Gäste bleiben tatsächlich und wollen auch das noch sehen: In der Tat erscheint bald ein dunkles schmales Gebilde am Rand des Planetenscheibchens, hinter dem es wieder heller wird. Und als wir gegen 1:30 Uhr MESZ zusammenpacken, ist die Syrte schon recht deutlich zu erkennen. Das Seeing hatte sich kurioserweise mit steigender Marshöhe allmählich verschlechtert, was der Trick mit der Off-Axis-Blende allerdings gut abwehren konnte. Zwischen den visuellen Beobachtungen hatte ich auch immer wieder Videoaufnahmen mit einem Camcorder gemacht, freihändig und direkt durch's Okular: Der Eindruck des Auges wird so recht realistisch eingefangen. Es empfiehlt sich (v.a. bei Verwendung einer Objektivblende), eine geringere Vergrößerung einzusetzen und voll heranzuzoomen, sonst stören schon geringste Verunreinigungen der Okularlinsen erheblich.

5. September, in Bonn

Die erste von drei Sonderveranstaltungen der Bonner Volkssternwarte zur großen Erdnähe in den Astronomischen Instituten der Universität anbietet: Ich soll einen einführenden Vortrag halten, dann sind Beobachtungen mit zwei Übungsteleskopen auf dem Dach des Gebäudes geplant. Leider hat inzwischen ein Tief NRW erreicht, und tagsüber zieht sich der Himmel immer mehr zu - was aber rund 300 Marsfans nicht daran hindert, trotzdem anzurücken, manche schon zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung. Der größte Institutshörsaal ist völlig überfüllt, wie das letzte Mal in den Wochen vor der SoFi 1999 - ich komme kaum hinein. Der Ansturm noch lange nach dem »magischen Datum« 27.8. zeigt immerhin, daß die meisten verstanden haben, daß es den Mars auch an anderen Tagen kaum schlechter zu sehen geben könnte. Auch wenn einige nach dem Vortrag ob jeder noch so diffusen Wolkenlücke Zugang zu den Teleskopen begehren, muß sich das Publikum doch mit dem gestern in Bochum entstandenen Video begnügen, das in Großprojektion seine Premiere erlebt.

13. September, in Berlin

Am Rande einer großen Tagung der Vereinigung der Sternfreunde, die gerade 50 Jahre alt geworden ist, an der Archenhold-Sternwarte in Treptow besteht im Prinzip die Möglichkeit, den Mars durch den längsten Refraktor der Welt mit 21 Metern Brennweite und 68 cm Öffnung zu beobachten - doch der Himmel bleibt verschlossen. Nichtsdestotrotz stellen sich viele der Sternfreunde nachts noch brav in eine Warteschlange, um wenigstens einmal so tun zu dürfen, als würden sie durch das einzige noch existierende Okular des historischen Instruments in Richtung Mars schauen ... In den vergangenen Wochen, so wird erzählt, hat es hier einen wahren Besucheransturm in Sachen Mars gegeben, in einer Nacht allein 3000 Gäste im Rahmen einer Nacht der Museen. Und die Wilhelm-Foerster- Sternwarte im anderen Teil der Stadt hatte einen ähnlichen Ansturm erlebt - wie fast jede öffentliche Sternwarte rund um den Globus.

17. September, in Unterföhring

Bei der Bonner Veranstaltung hatte ich erfahren, daß das ZDF bei der Volkssternwarte um Filmmaterial über den Mars nachgesucht hatte. Das Sekretariat der Abteilung für Forschung und Technik - nördlich von München - zeigte sich an dem Bochumer Mars-Video interessiert, und weil ich wegen einer Tagung in Garching ohnehin in der Gegend war, konnte ich ja gleich mal persönlich vorbeischauen. Das Münchener ZDF-Studio residiert in einem abgelegenen Medien- und Businesspark mitten im Nirgendwo aber wenigstens mit Bushaltestelle (»ZDF-Straße«). Die Forschungsabteilung macht einen Flur davon aus, bewohnt im Wesentlichen von Joachim Bublath und etlichen Redakteurinnen und Sekretärinnen. Und voll von unzähligen VHS- Kassetten mit Filmschnipseln: Abspielgeräte für professionelle TV-Formate oder selbst meine miniDV-Kassette gibt es hier (aus Kostengründen) nicht, gesichtet wird immer nur via VHS.

Mit einiger Mühe (und tatkräftigem Einsatz einer Sekretärin, die einen SCART-Stecker mit Gewalt in eine eigentlich zu klein geratene Buchse eines Fernsehers presst) gelingt es aber doch, ein paar Sekunden des Bochumer Mars- Clips direkt aus dem Camcorder zur Vorführung zu bringen, mit dem er einst aufgenommen wurde. Zwar hüpft das Bild wegen der freihändigen Techik etwas herum, aber das gute Bochumer Seeing und die hohe Schärfe sind evident: »Ist ja besser als das von der Volkssternwarte«, murmelt die Verantwortliche (welche VSW sie dabei meint, sagt sie nicht) - und das ZDF will den Clip tatsächlich haben, für eine eventuelle Verwendung in einem neuen dreiteiligen Astro-Rundumschlag kurz vor dem Jahreswechsel. Die ZDF-Redakteure geben gleich zu, daß sie oft genug dasselbe Material wiederverwenden (müssen) und daher für jeden sehenswerten Astro-Take dankbar sind, der noch nie gesendet wurde: Das sei durchaus als Einladung auch an andere Amateurastronomen zu verstehen, besonders gutes Material anzubieten.

Nachdem die Würfel gefallen sind, muß ein Antrag ausgefüllt werden: Die Kopie des DV-Videos auf ein professionells Format sollen die benachbarten Bavaria-Studios übernehmen. Durch endlose Gänge geht es in ein Kopierstudio, wo jedem Videofan die Augen übergehen würden: Hier können nicht nur kleine und große DV-Kassetten über einen absoluten High-End-Player (mit automatischer Videokopfpflege und Datenfehlererkennung!) wiedergegeben werden, sondern die Signale auch in mehreren modernen TV-Formaten aufgezeichnet werden. Der Bochumer Mars erlebt die höchsten Weihen der Fernsehtechnik: Die insgesamt 12 Minuten werden parallel ins klassische analoge und ins digitalen Betacam-Format gewandelt. Ob sie es schließlich auf die deutschen Bildschirme schaffen werden, hängt natürlich auch von der Konkurrenz ab: So wurde auch noch ein (VHS-)Video aus Namibia erwartet. Der Ausflug war jedenfalls die Mühe wert: Spontan veranstaltet einer der Bavaria-Techniker noch eine ausgiebige Führung durch die anderen Studioanlagen, inklusive jenes Schnittplatzes, wo die Bublath-Sendungen zusammengestückelt werden.

Am selben Abend, in München

Als eine der größten deutschen Volkssternwarten ist die Münchener jeden Wochentag geöffnet, und da das Wetter gut zu sein scheint, mache ich mich unangekündigt auf den Weg in das Industriegebiet, wo die Sternwarte auf dem Dach eines Hochhauses residiert. Was gar nicht so einfach ist: Gleichzeitig hat im Keller desselben Komplexes eine lautstarke Diskothek geöffnet, und ich habe schon fast 5 Euro Eintritt bezahlt, bevor ich merke, daß dies gar nicht die Schlange zur Sternwarte ist. Dort angekommen, hat der Ansturm der Besucher auch schon begonnen: Zwischen 20 und 22:30 Uhr sind es über hundert, die sich in den Ausstellungsräumen und auf der Plattform mit den Teleskopen tummeln. Das ist zwar immer noch mehr, als normalerweise an einem gewöhnlichen Septembermittwoch kommen würden, höre ich, aber kein Vergleich mit den Besuchermassen im August: Jede Woche hatte sich die Zahl der täglichen Besucher verdoppelt, von 100 auf schließlich 800 jeden Abend an den Tagen rund um die Erdnähe. Die überwiegend ehrenamtlichen Helfer waren danach zwar fix & fertig - aber dafür war auch schon so viel Geld in der Kasse wie sonst erst am 31.12. ...

Heute richtete sich der Eintrittspreis nach der Wolkensituation: Immer wenn sich gerade mal wieder ein (schmaler) Wolkenstreifen vor den Mars geschoben hat, sinkt er von 4 auf 2.50 Euro. Auch das Seeing läßt meist zu wünschen übrig, dafür gibt es aber gleich drei Teleskope zur Auswahl: Refraktoren mit 10, 7 und 4 Zoll Öffnung. Immer dann, wenn eine Wolke den Mars gerade im Begriff ist zu verdecken oder wieder freizugeben, ist das Seeing besonders gut, der gänzlich freistehende Mars wird dagegen oft von wüsten Schlieren verunstaltet. Zwischen den Besuchern halte ich immer wieder mal die Videokamera hinter die Okulare - und auf dem kleinen LCD-Bildschirm erscheint der Mars hernach deutlich kontrastreicher. Auch zur Freude vieler Besucher, die im Okular zuvor fast nichts gesehen hatten. Die winzige Polkappe ist da - und das »Marsauge«, der kleine runde dunkle Solis Lacus, der sich allmählich dem Zentralmeridian nähert. Ausgerechnet im 4-Zöller, einem historischen Original-Merz-Refraktor, erscheint er gegen 22:30 Uhr am spektakulärsten: tatsächlich wie ein fernes Auge, der Mars guckt zurück ...

Erste Fassung: 25. September 2003