NEU! Ein Interview mit Asher und McNaught über die nächsten Jahre.
Die Erfahrungen mit dem Sternschnuppenstrom der Leoniden im Jahre 1998 (siehe Sonderseiten) schienen zuerst ernüchternd: Mit den Voraussagen hatte die Realität nicht viel gemein. Die Intensität des normalen Maximums hatten alle Prognostiker um das 2- bis 100fache überschätzt, und zugleich hatte niemand den Feuerkugelregen 0.8 Tage früher vorausgesagt. Aber die Theoretiker scheinen seither ihre Hausaufgaben gemacht zu haben: Die Herkunft der Feuerkugeln ist genau verstanden - und es gibt nun detaillierte Modelle zur Verteilung des Staubs von Komet Tempel-Tuttle, die die Leonidenprognose zu einer geradezu exakten Wissenschaft zu machen scheinen. Die Feuerkugeln waren große Teilchen aus dem Jahre 1333, die in einer 5:14-Bahnresonanz mit Jupiter gefangen waren und deshalb zusammenblieben (R.A.S. Press Release # 9/1999 = Asher & al., MNRAS 304 [21.4.1999] L53-6 = Asher & al., Irish Astron. J. 26 [1999] 91-3), und solche resonanten Meteoroide scheinen auch bei den Leoniden von 1965 sowie den Leo-Stürmen von 1799 und 1832 eine Rolle gespielt zu haben. Diese Teilchen werden wir 1999 allerdings nicht wiedersehen: Die Wolke ist so kompakt, daß sie nur einmal pro 33jährigem Sonnenumlauf des Kometen von der Erde durchquert wird.
Die Quelle der normalen Leonidenstürme sind jedoch Staubteilchen, die den Kometenkern erst vor ein paar Umläufen während dessen Periheldurchgängen verlassen haben: Ihre Bahnen müssen präzise in die Zukunft integriert werden, wobei die Austrittsgeschwindigkeit aus dem Kern ebenso zu berücksichtigen ist wie der Strahlungsdruck der Sonne (der v.a. die kleinsten betrifft) und natürlich Bahnstörungen durch die Planeten. Jeder Periheldurchgang eines staubreichen Kometen produziert einen sogenannten Dust Trail im Raum (bei einigen Kometen ließen sich die Trails sogar vom IRAS-Satelliten ablichten). Die (retrograde) Bahn Tempel-Tuttles ist gegenüber der Ekliptik um 17 Grad geneigt, so daß seine Dust Trails die Bahnebene der Erde schräg schneiden: Wenn die Erde durch einen solche ungefähr elliptische Schnittzone läuft, dann ist ein Meteorsturm möglich. Die Grafiken (siehe unten) zeigen die Situation für verschiedene wichtige Jahre: 1966 lief die Erde durch den erst zwei Orbits alten Trail von 1899, und es kam zu einem der größten Meteorstürme der Geschichte. 1998 kam die Erde keinem Trail nahe, entsprechend mager fiel das Maximum beim Durchgang durch die Knotenebene aus (die resonante Wolke alter Teilchen ist hier nicht eingezeichnet). Das Kreuz markiert, wo der Komet selbst durch die Ekliptik trat - für die Voraussage der Meteoraktivität ist dieser Punkt ohne Belang.
Datum | UTC | Orbits | ZHR | Mondalter |
1999 Nov.18 | 02:08 | 3 | 500 | 10 (gut) |
2000 Nov.18 | 03:44 | 8 | 30? | 22 (mies) |
07:51 | 4 | 20? | 22 (mies) | |
2001 Nov.18 | 10:01 | 7 | 1500? | 3 (gut) |
17:31 | 9 | 15000 | 3 (gut) | |
18:19 | 4 | 15000 | 3 (gut) | |
2002 Nov.19 | 04:00 | 7 | 15000 | 15 (mies) |
10:36 | 4 | 25000 | 15 (mies) | |
2006 Nov.19 | 04:45 | 2 | 100 | 28 (gut) |
2033 Nov.17 | 21:42 | 4 | 0 | 26 (gut) |
2034 Nov.18 | 03:20 | 7 | 0-1000 | 7 (gut) |
2034 Nov.19 | 05:19 | 8 | 0-100 | 8 (gut) |
Was bringt nun die Zukunft? Die obige Tabelle stellt den letzten Stand der Ermittlungen dar, aufgrund der Arbeiten von D. Asher und R. McNaught: Sie zeigt Datum und Weltzeit, wieviele Kometenorbits der entsprechende Dust Trail alt ist, welche stündliche Fallrate unter optimalen Sichtbedingungen (ZHR) bei hoch stehendem Radianten zu erwarten ist, wie alt der Mond sein wird (in Tagen seit Neumond) und was das für die Beobachtungsbedingungen heißt (man hätte das Maximum gerne in der 2. Nachthälfte, 1-2 Stunden vor Dämmerungsbeginn). Die berechneten Zeiten sollten auf 5 bis 10 Minuten genau sein: Diese kühne Behauptung ist bereist zweimal getestet worden. Einmal rückwirkend anhand des in der Literatur oft ignorierten kleinen Leonidensturms von 1869, und einmal bei den Giacobiniden, die 1998 für Verwirrung sorgten, weil sie mehrere Stunden zu früh gekommen zu sein schienen. Mit genau der Methode, mit der nun die Leonidenstürme prognostiziert wurden, hatten nämlich russische Astronomen den Giacobinidensturm von 1998 korrekt vorausgesagt, nur leider in einer Zeitschrift, die im Westen niemand las.
Aufgrund dieser Erfahrungen glauben Asher und McNaught, daß die Leonidistik nun eine exakte Wissenschaft geworden sei und daß man ihren Voraussagen vertrauen könne - und mehr und mehr in der Meteorszene haben sich in den letzten Monaten diesem Urteil angeschlossen (mit Ausnahme allerdings einer umfangreichen NASA-Pressemitteilung vom 29.10., die immer noch die Unwägbarkeiten in den Vordergrund rückte). Die Sicherheit beschränkt sich allerdings in erster Linie auf die Zeitpunkte, die schlicht die Himmelsmechanik vorgibt - bei den ZHRs gibt es immer noch Spielräume, die jedoch nach den Erfahrungen des Jahres 2000 deutlich reduziert werden sollten. 1999 können wir also ein kleines Stürmchen am Morgen des 18. November gegen 3:08 MEZ erwarten, wenn die Erde erneut dem - nun drei Orbits alten - Trail von 1899 nahekommt, der 1966 für den Mega-Sturm sorgte. Allerdings ist der Abstand größer, so daß nur mit einer ZHR in der Nähe von 500 gerechnet werden sollte (andere Leo-Analysten erwarten dagegen sogar 2000-6000; Rao in meteorobs 1.11.).
Die Weltkarten (siehe unten) geben die optimalen Sichtzonen an, zentriert auf den Punkt, wo der Radiant im Zenit steht: Dunkel ist es links der dicken Linie (die drei dünneren markieren verschiedene Dämmerungsgrade), und die Kreise geben die Höhe des Radianten an. Links der gestrichelten Linie steht der Mond noch am Himmel. Die optimale Zone für Beobachtungen dieses Jahr liegt also kurioserweise genau dort, wo auch die SoFi im August am besten zu beobachten war: vom Schwarzen Meer bis zum Nahen Osten. Weiter westlich steht der Radiant niedriger, so daß die tatasächlich sichtbare Meteorrate kleiner ist, weiter östlich dämmert es schon. Israel und Jordanien werden dieses Jahr die Brennpunkte der Beobachtung von Profis wie wildentschlossenen Amateuren sein, die letztes Jahr in die Mongolei und nach China fuhren. Aber wiederum wird mit einer Überwachung der Meteoraktivität praktisch rund um die Uhr und rund um die Welt gerechnet: Auch in Westeuropa und den USA wird man bereit sein.
Im Jahr 2000 stört leider der Mond im letzten Viertel die Beobachtungen. Diesmal kommt die Erde den Trails von 1733 und 1866 nahe, doch es ist nicht klar, ob die Aktivität Sturmniveau erreichen wird. Europa und Afrika können den älteren, Nordamerika den jüngeren Trail überwachen. Das Jahr 2001 verspricht die beste Show während der gegenwärtigen Wiederkehr von Tempel- Tuttle, wenn die Erde gegen 18 Uhr UTC gleichzeitig durch die Trails von 1866 und 1699 stößt - die Voraussagen für die ZHR-Werte schwanken hier zwischen 10 und 35 000, dürften aber genauer werden, sobald die 2000er Beobachtungen des 1866er Trails vorliegen. Der Mond ist praktisch neu: Besser geht es nicht, und wieder dürften Scharen von Enthusiasten nach Ostasien oder Australien (oder einsamen Inseln im nördlichen Mikronesien?) aufbrechen, während Europa völlig leer ausgehen dürfte. 2002 schließlich steht zwar der Vollmond am Himmel, aber der 1866er Trail dürfte abermals für einen gehörigen Sturm sorgen, nun am besten zu beobachten in Nordamerika. Und sogar 2006 könnte es noch mal zu einem scharfen Peak kommen, allerdings schon weit vom Kometen entfernt, wo der junge Trail schon recht dünn sein dürfte.
Die Voraussagen von Meteorstürmen mit 3 bis 10 Meteoren
pro Sekunde für die Jahre 2001 und 2002 sind kühn:
Es gibt keine historischen Beobachtungen von so hoher
Aktivität so lange nachdem Tempel-Tuttle schon durch sein
Perihel gegangen ist - aber entsprechende Trail-Passagen, wie sie
der Erde bevorstehen, hat es in den letzten 200 Jahren auch nie
gegeben, und vor 1799 gab es noch keine wissenschaftliche
Meteorbeobachtung. Zusätzlich zu den erwarteten Peaks
der Tabelle durch klar definierte Dust Trails bieten die Leoniden
übrigens noch eine Hintergrundkomponente aus sehr
altem Staub, die zwischen dem 14. und 21. November vorhanden
ist und zu anderen Zeiten ein Maximum erreichen kann - bis zu
ZHR-Werten von 500. (McNaught & Asher, WGN
27 [1999] 85-102 + Webseiten +
meteorobs-Postings von McNaught und Asher 28.8.-
2.11.1999)
Grafiken aus Vergangenheit & Zukunft
Auf den folgenden Bildern aus den Webseiten von
Asher und
McNaught
sehen wir einerseits die Ebene der Ekliptik und
die Erdbahn (Linie mit Marken für 0 Uhr UTC) von oben. Die
Ellipsen sind die Schnitte der Dust Trails des Kometen Tempel-
Tuttle von verschiedenen Periheldurchgängen mit der
Ekliptik, wobei die Farbe das Alter der Staubteilchen angibt: Je
dunkler und röter, desto frischer. Nur wenn die Erdbahn
eine solche Ellipse durchschneidet oder wenigstens touchiert, ist
nach dem Asher-McNaughtschen Modell ein Meteorsturm
möglich.
Die anderen Bilder zeigen die Erde aus der Sicht der anfliegenden Leonidenteilchen zu den Zeitpunkten höchster Aktivität, berechnet aus den o.g. Modellen. Die konzentrischen Kreise zeigen die Höhe des Leoniden- Radianten über dem Horizont, die relativ geraden Linien die Dämmerungsgrenzen - nur links von der Mitte ist es jeweils finster, und die optimalen Beobachtungsorte werden in der Nähe der Mitte, etwas links von der linkesten Dämmerungsgrenze, liegen.
(die resonante Teilchenwolke von 1333 fehlt in dieser Darstellung)
Zu empfehlen sind insbesondere Seiten der IMO, der AMS, der NASA, der JAS, der ESO, der DMS, der ESA und des AKM.
Daniel Fischer, Stand 11. 11. 1999 - alle Voraussagen ohne Gewähr ... :-)